- Wir tun was für Insekten oder: Was sind eigentlich die „guten“ Blühstreifen? –
Die Landschaft im Hochsauerlandkreis ist eine über Jahrtausende gewachsene Kulturlandschaft. Erst der Mensch machte aus dem Waldland Sauerland die uns bekannte Kulturlandschaft mit einer Vielzahl von Lebensräumen. Während dieses langen Prozesses wanderten Arten aus anderen Räumen ein, die es zuvor bei uns nicht gab. Etwa um 1800 erreichte unsere Kulturlandschaft die größte Artenvielfalt. Es bildeten sich über lange Zeiträume Lebensgemeinschaften aus Tier- und Pflanzenarten, in denen es oft sehr enge und komplexe Beziehungen zwischen den Arten gibt. Manche Tierarten ernähren sich nur von einer Pflanzenart, gerade bei Wildbienen ist das sehr ausgeprägt. Manche Schmetterlingsarten legen ihre Eier nur an eine ganz bestimmte Pflanzenart. Das ließe sich noch seitenlang fortsetzen.
Artenreiche Glatthaferwiese am Forstenberg bei Marsberg-Beringhausen
Nach 1800 kam es durch die Industrialisierung und später auch durch die Änderung landwirtschaftlicher Bewirtschaftung zu gravierenden Veränderungen. Viele heute selten gewordene Lebensräume wie Kalkmagerrasen oder Heiden wurden in artenarme Fichtenforste umgewandelt, Feuchtwiesen wurden drainiert und das Grünland aufgedüngt. Nach 1950 kam es zu weiterer Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung, die, beginnend etwa 1980, bis heute auch bei uns ein nicht vermutetes Ausmaß angenommen hat. Heute finden wir auf Silage-Flächen, die 4-5mal im Jahr gemäht werden, nicht einmal mehr zehn Pflanzenarten. Und bei Ackerflächen sind wir in der Lage, Ein-Arten-Gesellschaften (was für ein Widerspruch!) zu entwickeln, also sterile „Grünflächen“ ohne jedes „Unkraut“.
Was ist das Ergebnis? Die Artenvielfalt und die Populationsdichte haben sowohl bei Pflanzen als auch bei Tierarten massiv abgenommen. Naturschutzgebiete liegen wie Inseln in der intensiv genutzten Kulturlandschaft und selbst die Schutzgebiete kommen an einer Intensivierung nicht vorbei, da die Grundschutzverordnungen die Intensität der Nutzung nicht regeln. Man darf nur nicht aufforsten, bauen oder Grünland in Acker umwandeln. Der Biotopverbund zwischen den Schutzgebieten durch artenreiche Säume, kleine extensiv Grünlandflächen oder artenreiche Äcker ist oftmals vernichtet worden. Der VNV weist auf diesen Umstand seit Jahrzehnten hin – oft mit wenig Erfolg. Erst die uns alle schockierenden Ergebnisse der Krefelder Entomologen, die belegen konnten, dass die Insektenmasse um 75% abgenommen hat, rüttelte die Öffentlichkeit auf und das Thema fand Einzug in die Politik. Insekten bestäuben viele unserer Pflanzen, die wir als Lebensmittel brauchen. Erstmals scheint jeder von uns betroffen. Das Thema wird Wahlkampf-relevant.
Nachdem lange Zeit der Naturschutz nur als Ärgernis begriffen worden ist, der Planungen verhindert, unbequem und schwierig ist, kann man jetzt mit ihm punkten. Schnelle Lösungen sind also gefragt – nicht gute!
Was liegt näher, als sich auf dem freien Markt artenreiche Mischungen zu besorgen, mit denen man das Problem Wähler freundlich und schnell lösen kann. Brilon will 200 g-Tüten verteilen, Olsberg hat sie schon, andere werden vermutlich folgen. Für die Landwirtschaft müssen optisch ansprechende, „machbare“ Konzepte her, die als Greening-Maßnahmen auch noch honoriert werden. Blühstreifen aus der Tüte lassen sich einfach umsetzen und – auch wieder wegmachen, wenn man sie nicht mehr braucht.
Also Problem gelöst?! Scheinbar.
In der leider nicht kundigen Öffentlichkeit werden diese „Lösungen“ auch gerne angenommen. Es sieht einfach gut aus, wenn Ringelblume und Co. endlich wieder etwas Farbe in die Landschaft bringen. Sehen wir uns die Blühmischungen doch einmal etwas näher an. Was sind es für Arten und wer profitiert davon?
Zum Teil handelt es sich um Gartenpflanzen wie Dill, Fenchel etc.
Andere Arten sind gebietsfremd, man sagt auch Neophyt dazu, wie Büschelschön (Phacelia), Schwarzkümmel, Färberdistel (Saflor), Sonnenblume, Koriander, Serradella (Portugiesischer Vogelfuß), Inkarnatklee, Perserklee, Luzerne, Ringelblume etc.
Wieder andere sind heimisch wie der weiße oder gelbe Steinklee, Schafgarbe, Kümmel, Wegwarte (Zichorie), Wilde Möhre, Margarite, Hornschotenklee, Spitzwegerich, Kornblume, Mohnblume, Pastinake.
Manche sind heimisch, kommen aber natürlicher Weise nur in bestimmten Regionen des Hochsauerlandkreises vor, etwa Wegewarte (Zichorie), Saat-Esparsette, Kleiner Wiesenknopf, Färberkamille, Salbei.
Und wieder andere wie Weißklee, Luzerne, Schwedenklee werden ohnehin auf landwirtschaftlichen Flächen angesät.
Quelle: https://bisz.suedzucker.de/anbau/nachhaltigkeit/foerderung-der-biodiversitaet/
Wie sieht denn die Bewertung aus Naturschutzsicht aus?
Viele Arten, die heute selten geworden sind, benötigen oftmals eher nährstoffarme Standorte. Die Leguminosen, die man auf landwirtschaftlichen Flächen ansät, haben die Eigenschaft, mit Knöllenbakterien Stickstoff zu binden und Flächen indirekt aufzudüngen. Sie werden dazu auch in der Landwirtschaft eingesetzt und sind für „unsere“ Zwecke wenig geeignet. Also lassen wir sie in unserer Betrachtung mal weg.
Die Arten, die nicht bei uns heimisch sind, also Neophyten, haben bei uns nichts zu suchen. Zwar verschwinden sie wahrscheinlich nach und nach wieder, das wäre dann nicht nachhaltig und würde den eigentlichen Zweck verfehlen, aber sie würden keinen weiteren Schaden anrichten. Im schlimmsten Fall entwickeln sie invasiven Charakter. Das heißt, sie vermehren sich plötzlich massiv, wandern in schutzwürdige Lebensräume ein, verdrängen heimische Arten und werden damit zu einem neuen Problem und einer zusätzlichen Belastung.
Bleiben da noch die heimischen Arten. Hier wird es kompliziert, da man zusätzliches Fachwissen braucht. Wir müssen da noch einmal zurück in die Schule – Biologie, Thema Evolution. Räumliche und zeitliche Trennung, man spricht von Separation, führen über lange Zeiträume zu einer genetischen Differenzierung aufgrund unterschiedlicher Umweltfaktoren, Gendrift etc. So bilden sich neue Arten. Die Vorstufe davon sind genetische Variationen, Rassen und Unterarten. Für uns besteht der Nachteil darin, dass wir sie nicht ohne weiteres erkennen können. Manchmal braucht man einen Spezialisten, der anhand der Gestalt (Morphologie) die Unterschiede erkennt, oft braucht man einen Genetiker, der ins Erbgut sehen kann. Ein auffälliges Beispiel ist die Schwarze Teufelskralle, die in der Eifel eine viel heller blaue Blütenfarbe hat als bei uns. Das heißt für die heimischen Arten, dass wir diese nicht aus einer anderen Region bei uns einbringen dürfen, da wir damit den Prozess der Artbildung unterbrechen.
Also die heimischen gehen auch nicht? – Stimmt so nicht ganz, denn das Bundesnaturschutzgesetz sagt uns, was wir machen können und dürfen!!! Auf ungenutzten Flächen in der freien Landschaft, also nicht landwirtschaftlich genutzten Flächen, müssen – nicht können oder sollen! – nur noch gebietsheimische Arten ausgebracht werden.
Fazit: Samen aus der Samentüte für die „Naturschutzmaßnahme Blühstreifen“ (das ist ja eben keine landwirtschaftliche Nutzung) in die freie Landschaft zu bringen, ist m. E. ein Verstoß gegen das Bundesnaturschutzgesetz.
Als wissenschaftliche Untersuchung auch nachzulesen bei: Bochumer Botanischen Verein (2019). C. BUCH. A. JAGEL (2019): Schmetterlingswiese, Bienenschmaus und Hummelmagnet – Insekten-rettung aus der Samentüte?
Was kann man tun? Bei der Entwicklung von artenreichen Säumen und Grünlandflächen übt man sich in einer „Kilometerdiät“. Je näher die Fläche oder der Raum sind, von denen das Ansaatmaterial stammt, um so besser – d. h. wir bleiben am besten in einem Stadtgebiet, wobei auch da der Naturraum noch zu beachten ist, denn Marsberg liegt z.B. im Weserbergland und im Süderbergland. Eine Möglichkeit ist die Heugrasansaat: Man überträgt dabei das komplette Mähgut einer Spenderfläche auf eine vorbereitete Empfängerfläche.
Was können Kommunen und/oder Privatpersonen für heimische Tier- und Pflanzenarten tun?
Die Wiederentwicklung artenreicher Säume mit heimischen Pflanzenarten, die wirklich für die heimischen Insektenarten „etwas bringen“, ist ein etwas längerer Prozess, der nicht direkt für den Wahlkampf geeignet ist und manchmal auch Ärger verursacht, da breite Wegeparzellen in die Bewirtschaftung „miteinbezogen“ worden sind.
Wie könnte man vorgehen?
- Digitale Aufbereitung des Wegenetzes
- Erfassung der Qualität der Wegränder (abgestuftes 3-teiliges System (blütenreich/grasreich/Nitrophile Hochstauden/Neophyten getrennt nach rechte Seite/linke Seite)
- Parallel Samen sammeln zur Vermehrung (betrifft Arten wie z.B. den Wiesenstorchschnabel, Flockenblumen etc.)
- Vermessen der Wege, Vormarkierung
- Auswahl in Abstimmung mit der jeweiligen Stadt
- Verpflocken der Wege im Gelände
- Fräsen der Wegränder
- Gewinnung von lagerfähigem Ansaatmaterial
- Anziehen ausgewählter Arten in einer Gärtnerei
- Ausbringung des Ansaatmaterials plus angezogener Pflanzen
- Pflege der Wegränder durch einjähriges Mähen mit Abtransport des Mähgutes; rechte und linke Wegseite zur Aufrechterhaltung des Biotopverbundes im Abstand von mindestens 6 Wochen
Man muss sich von dem Gedanken freimachen, dass sich im nächsten Jahr eine bunte Blumenwiese in Form eines Saumes entwickelt hat. Das braucht Zeit. Es ist ja keine Ex-und-hopp-Aktion, sondern diese Mini-Lebensräume sollen dauerhaft in unserer Landschaft ihre Funktion für die heimischen Arten erfüllen. Aber dann ist es ja erst richtig schön, denn Blühstreifen in Bayern, an der Nordsee und in Mecklenburg-Vorpommern sehen alle gleich aus. Säume sind dem gegenüber überall anders, eben gebietstypisch – wenn man will, ein Stückchen unverwechselbare Heimat.
Was können wir privat tun?
Jeder, der einen eigenen Garten hat, sollte grundsätzlich auf den Einsatz von Bioziden verzichten. Man fängt damit an, dass man ein Stück Wiese einfach wachsen lässt. Oft sind blütenbunte Arten wie Margeriten und andere noch vorhanden. Wenn man im heimischen Umfeld unterwegs ist, kann man auch ruhig mal Samen von Wildpflanzen sammeln, im Topf anziehen und dann auf dem eigenen Grundstück ansiedeln. Mit dem direkten Ansäen hat man oft nicht so viel Erfolg, geht aber auch. Es braucht Geduld und keine Fast-Food-Mentalität – ist aber nachher besonders wertvoll. Wir können im Garten natürlich auch mal Zierpflanzen setzen, die wir besonders schön finden. Da hat jeder so seine Schwächen. Wir müssen aber bedenken, dass die „Wirkung“ für spezialisierte Insekten eher gering oder manchmal auch gar nicht vorhanden ist, und man sollte immer bedenken, dass Arten auch den Gartenzaun überwinden und dann als invasive Neophyten, wie Bärenklau und Co., die Natur zusätzlich belasten..
Wiese im Hausgarten nach mehrjähriger „Förderung“ von Margariten durch Aussamenlassen
Für die genutzte Kulturlandschaft gibt es aber auch einen Lichtblick, wenn es bunt werden und trotzdem schnell gehen soll. Und das ist der oft vergessene Lebensraum Acker. Ackerwildkräuter sind an ständige Störungen angepasst, sie brauchen sie geradezu. Ihre Samen liegen oft Jahrzehnte keimfähig im Boden, bis sie eines Tages hochgepflügt werden und dann ihren Lebenszyklus vollenden und blühen. Landwirten wird mit dem Ackerrandstreifenprogramm eine Förderung angeboten, die sich rechnet. Wenn der Landwirt jedes zweite Loch bei der Sämaschine zumacht (Landwirte sprechen auch vom Zweitüllenprogramm), auf den Einsatz von Bioziden und das Düngen verzichtet, hat man oftmals im ersten Jahr schon blütenreiche Ackerflächen mit Kornblume und Co. Das sind die wahren Blühstreifen!!! In ihnen wachsen gebietsheimische Arten, die den heimischen Insektenarten die passende Nahrung liefern. Es sind Lichtäcker, die sich schnell erwärmen, die Platz lassen, damit sich Wachtel und Rebhuhn (sofern es noch vorkommt) Nahrung suchen können, denn auch die spezialisierten Laufkäfer, übrigens auch Insekten (!), brauchen Wärme und einen geringen Raumwiderstand zum Laufen. Hier fördern wir die gesamte Lebensgemeinschaft!
Und die so hochgelobten Blühstreifen mit Ringelblume und Co., mit denen die Landwirtschaft ihr Image aufbessern will? Sie bewirken kaum etwas. Blühstreifen bestehen in der Regel aus nicht heimischen Arten, die nur den Ubiquisten, also den Insekten-Arten, die eh fast überall klarkommen, etwas bieten. Blühstreifen sind oft dicht und dunkel. Also keine Zielflächen für licht- und wärmeliebende Insektenarten. Hier wird das Engagement und der gute Wille vieler Landwirte leider in die Irre geleitet.
Und eines ist auch wichtig: Insekten haben einen komplexen Lebenszyklus, Nahrungsflächen sind ja nur ein Teillebensraum. Wildbienen brauchen oft die steile Wegböschung mit offenem Boden, leere Schneckenhäuser oder hohle Stängel, um ihre Eier ablegen zu können. Schmetterlinge brauchen die richtigen Wirtspflanzen für ihre Raupen usw.
Leider interessiert wenige das Ergebnis, nicht die Nachhaltigkeit und auch nicht, ob es nicht ggf. zu einer „Verschlimmbesserung“ kommt, da man gebietsfremde Arten einbringt, die zu einer weiteren Verdrängung heimischer Arten führen und damit auch den Rückgang oder die Verdrängung bestimmter Insektenarten zur Folge haben.
Blühstreifen sind eine Garnierung von Landschaft mit Blumen – aber kein Naturschutz! Samentüten sind die Nebelkerzen für den naturinteressierten, aber nicht kundigen Bürger!
Der Künstler Josef Boyes hat es schon einmal richtig formuliert:
Nur aus dem Schoß des Alten kann man Neues gestalten.
Das sollte die Leitlinie sein!
Werner Schubert