Diemel entfesselt – Renaturierung an der oberen Diemel durch planar e. V.

Um die Artenvielfalt in der Diemel zu verbessern und die ökologischen Funktionen auch für Erholungszwecke im Rahmen eines nachhaltigen Ansatzes zu erhalten, setzt sich das Planungsnetzwerk für nachhaltige Regionalentwicklung (planar e.V.) dafür ein, die Grundlage für vielfältige Lebensräume wieder herzustellen. Hierzu werden natürliche Strukturen und Lebensräume am Fließgewässer durch Renaturierungsmaßnahmen reaktiviert. Saubere Kiesbänke, Uferabbrüche und Nebengerinne sollen geschaffen werden, um eine ausreichende Dichte hochwertiger, funktionsfähiger Lebensräume zu erreichen.

Natürliche Flusssysteme sind von großer Bedeutung für die biologische Vielfalt. Sie bieten ein Mosaik verschiedenster Lebensräume für selten gewordene Tier- und Pflanzenarten. Die Diemel ist trotz idyllischer Lage strukturell stark beeinträchtigt – durch massiven Ausbau und vergangene Unterhaltungsmaßnahmen hat sie einen Großteil ihrer ökologischen Funktionen verloren. Eine erhöhte Fließgeschwindigkeit infolge der Laufverkürzung, eine geringe Tiefen- und Breitenvarianz des Gewässers sowie ein Ufer, das nahezu flächendeckend mit Steinsatz befestigt ist, sind heute die Realität an der Diemel. Eine natürliche Dynamik und Strukturvielfalt sind dadurch ebenso eingeschränkt, wie eine seitliche Verlagerung des Gewässers. Die Folgen der morphologischen Defizite zeigen sich beispielsweise in einer artenarmen Fischpopulation. So werden von knapp zehn für das Gewässer typischen Fischarten regelmäßig nur vier in reproduzierenden Beständen – vor allem Groppe und Bachforelle – nachgewiesen (vgl. LANUV). Besonders eindrücklich wird dies am Rückgang einer der Charakterarten für Mittelgebirgsflüsse und Namensgeberin einer ganzen Fischregion – der Äsche – deutlich. Seit mehreren Jahrzehnten gilt der Äschenbestand am einst berühmten Äschenfluss Diemel als sehr gering.

Im Jahr 2015 konnte der planar e.V. die Fischereirechte an einer Teilstrecke der oberen Diemel pachten. Bei der fischereilichen Bewirtschaftung wird dabei Pionierarbeit geleistet:

Anstatt Fische (aus Fischzuchtbetrieben) – mit allen negativen Begleiterscheinungen – zu besetzen, um grundlegende Defizite des Ökosystems zu kaschieren, wird einzig auf die Wiederherstellung natürlicher Lebensraumfunktionen durch Renaturierung gesetzt. Es soll gezeigt werden, dass Naturschutz und fischereiliche Nutzung kein Widerspruch sein müssen – wenn diese nach ausschließlich ökologischen Kriterien erfolgt. Fischbesatz ist eine überholte, aber leider noch gängige Praxis in der fischereilichen Bewirtschaftung der meisten Gewässer. Wissenschaftliche Studien deuten jedoch schon seit langem darauf hin, dass Fischbesatz nicht geeignet ist die fischereiliche Attraktivität nachhaltig zu erhöhen. Vielmehr birgt dieser erhebliche Gefahren durch die Verbreitung von Krankheiten (vgl. Fall an der Orpe im Jahr 2019), reduziert nachweislich die Fitness des Wildfischbestandes und steht im Widerspruch zum Schutz von wichtigen (Begleit-)arten wie Bachneunauge, Elritze, Groppe, etc..

Gewässerrevitalisierung an der oberen Diemel

Auf der Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen stützen sich die Renaturierungsmaßnahmen auf drei Maßnahmenkategorien:

  • Entfernen von Uferbefestigungen zur Förderung und Wiederherstellung von dynamischen Prozessen
  • Initiale Modellierung von Instream-Strukturen wie Kiesbänke und Etablierung von Totholzstrukturen
  • Schaffung von Nebengerinnen und strömungsberuhigten Flachwasserzonen für Jungfische, Amphibien und andere semiaquatische Arten

Dies Auswahl der Maßnahmen orientierte sich neben der Behebung zentraler Schlüsseldefizite auch an einer möglichst minimalinvasiven und kostengünstigen Umsetzung.

Erste größere Maßnahme im Frühjahr 2020

Nach Gesprächen mit dem Eigentümer der Wasserkraftanlage am Betriebsgelände der Wepa, wurden 2019 erste Ideen gesammelt um Maßnahmen auf einer Fläche umzusetzen, die zwischen Mühlgraben und altem Diemellauf unterhalb der Wehranlage stromab der Freizeitanlage Grube Reinhardt liegt und sich ebenfalls in seinem Besitz befindet. Die erforderlichen Planunterlagen wurden durch den Verein planar e.V. erarbeitet und bei verschiedenen Ortsterminen mit den zuständigen Behörden- und Naturschutzvertretern diskutiert. Nach Abschluss des Abstimmungsprozesses konnten Ende März 2020 die Bauarbeiten beginnen und es wurden drei Nebengerinne, drei unterstromig angebundene und ein nur bei höheren Abflüssen angeschlossener Altarm angelegt. Die Bauzeit betrug knapp drei Tage. Die Baukosten wurden vom Wasserverband Diemel übernommen.

Im Juni 2020 erfolgte eine erste Erfolgskontrolle im Rahmen eines studentischen Projektes an der Universität Kassel. Bei der Fischbestandserhebung gelang der erste Nachweis von Elritzen in der oberen Diemel seit einem Einzelfund aus dem Jahr 2015 sowie der erste Nachweis von Äschenlarven stromauf der Wepa-Papierfabrik. Beide Nachweise erfolgten in den neu geschaffenen Gewässerstrukturen, wobei die Elritzen in einen „Pool“ mit höherem Totholzanteil in einem Nebengerinne und die Äschenlarven am äußersten Ende eines unterstromig angeschlossenen Altarmes nachgewiesen wurden. Diese Ergebnisse zeigen die hohe arten- und stadienspezifische Bindung an selten gewordene Lebens­raumstrukturen wie Totholz und strömungsberuhigte Flachwasserzonen. Eindrucksvoll ist auch die hohe Geschwindigkeit in der eine Wiederbesiedlung erfolgen kann.

Zweite Maßnahme im Frühjahr 2021

Auf Grundlage der vielversprechenden Ergebnissen folgten im Herbst 2020 Überlegungen welche Maßnahmen auf weitere Gewässerabschnitte im näheren Umfeld übertragen werden können. Erfreulicherweise stießen die Vorschläge sowohl beim Wasserverband, der Biostation HSK als auch bei der unteren Naturschutz- und Wasserbehörde sowie beim Flächeneigentümer – der Firma Wepa – auf breite Unterstützung. Bei der Planung war zu berücksichtigen, dass es sich bei Maßnahmen stromauf der Kläranlage Bredelar um den Hauptlauf der Diemel mit höherem Abfluss von meist über 1 m³/s und dementsprechend größerer Gewässerdynamik handelt als dies in der Ausleitungsstrecke mit einem Abfluss ca. 0,25 m³/s der Fall war. Daher wurde hier zunächst einmal in Handarbeit punktuell die Uferbefestigung gelöst, um die Gewässerdynamik an diesen Versuchsstellen zu fördern und die Laufverlagerungs­tendenz besser einschätzen zu können. Bereits nach kurzer Zeit bildeten sich hochwertige Habitatstrukturen wie ausgedehnte, lockere Feinsedimentablagerung aus, die bereits wenig später von Bachneunaugen besiedelt wurden.

Der Wasserverband erklärte sich zudem dankenswerterweise erneut bereit, die Kosten für die Umsetzung zu übernehmen. Nach weiterer Abstimmung mit den zuständigen Behörden, konnte die Umsetzung Anfang März 2021 beginnen. Innerhalb von drei Tagen wurden zwei längere Verzweigungsgerinne und vier kurze Nebengerinne angelegt sowie an einem Abschnitt größere Steine aus dem Uferverbau als Strömungslenker in die Diemel eingebaut.

Im Vorfeld der Maßnahme wurden für eine spätere Erfolgskontrolle eine Fischbestands­erhebung durchgeführt sowie mehrere Makrozoobenthos-Proben genommen. Die Gewässerstruktur wurde über Luftbildaufnahmen mittels Drohne erfasst. Die Maßnahmen werden im Rahmen von Lehrveranstaltungen der Universität Kassel wissenschaftlich begleitet. Bereits nach kurzer Zeit sind Laufverlagerungstendenzen erkennbar. In einigen Bereichen ist das Nebengerinne bereits über einen Meter breiter. Stromab haben sich großflächige, hochwertige Kiesbänke gebildet.

Diemel entfesselt – ein Kooperationsprojekt

Ein weiterer wichtiger Baustein ist die konstruktive Zusammenarbeit mit zuständigen Behörden und Verbänden sowie eine kontinuierliche Abstimmung mit Anliegern und Nutzergruppen. Darüber hinaus besteht von Beginn an eine enge Kooperation mit der Universität Kassel, u.a. mit dem Fachbereich Landschaftsplanung und Umweltingenieur­wesen, da der Vorsitzende des planar e.V. dort in der GIS-Lehre tätig ist. Über mehrere Semester hinweg wurden Seminare zur Gewässerentwicklungsplanung und umsetzungsorientierte Semesterprojekte durchgeführt und Ergebnisse regelmäßig u.a. im Rathaus in Marsberg präsentiert.

Ausblick – die nächsten Schritte

Die Ergebnisse der aktuellen Renaturierungsmaßnahme werden in den kommenden Monaten im Rahmen von Lehrveranstaltungen ausgewertet und dann zukünftig über die Website www.diemel-entfesselt.de veröffentlicht. Aktuell ist die Website mit vorläufigen studentischen Arbeitsergebnissen gefüllt und wird in den kommenden Monaten nochmals grundlegend überarbeitet. Darüber hinaus engagiert sich der Verein planar e.V. in der Umweltbildung gemäß der OpenScience-Kritierien. Für die Datenerhebung, -verarbeitung und -auswertung wurde ausschließlich kostenfreie und quelloffene Software verwendet. Alle erhobenen Geodaten werden zukünftig als OpenData auf der GIS-Lernplattform www.gis-lernen.de veröffentlicht. Die Plattform soll die barrierefreie Anwendung von Geoinformationssystemen auch für den ehrenamtlichen Naturschutz an praktischen Beispielen fördern. Noch in der Entwicklung befindlich steht sie in der ersten Version aber bereits allen Interessierten offen.

Die Digitalisierung ermöglicht uns auch neue Wege in der Umweltbildung und im Naturschutz zu gehen. Mit der Gewässer-App hat planar e.V. (www.gewässer-app.de) ein mobiles Werkzeug für den Gewässerschutz bereitgestellt, mit dem sowohl Natur­beobachtungen als auch Beeinträchtigungen an Gewässern kartiert werden können. Die App wird laufend weiterentwickelt und durchgehend im Diemel-Projekt angewendet, um z.B. Laichplätze zu kartieren und Trends erkennen zu können.

Dipl.-Ing. Jens Eligehausen, Mira Hennerkes