Zum faktischen Vogelschutzgebiet Diemel- und Hoppecketal mit Wäldern bei Brilon und Marsberg:

Stand 10. Mai 2021: Ornithologische Bestandserfassungen des VNV im Hochsauerlandkreis – seit Jahrzehnten DIE Datengrundlage für Behörden und Öffentlichkeit

Seit seiner Gründung im Jahr 1982 hat sich der VNV die Erfassung der Natur des Hochsauerlandkreises auf die Fahnen geschrieben. Denn schützen können wir nur, was wir kennen.

In den Jahren 1983 – 1989 erarbeitete die Ornithologische Arbeitsgemeinschaft des VNV (OAG) darum den ersten Brutvogelatlas für den HSK. Auf 1.072 Rasterfeldern des rund 2.000 km2 großen Kreisgebietes wurden alle Brutvogelarten in jedem Raster (Minutenfeld) gesucht und Verbreitungskarten erstellt.

Seitdem erfasst die OAG jährlich die Brutverbreitung von rund 50 ausgewählten Vogelarten möglichst genau, um Aussagen über Veränderungen unserer Vogelwelt treffen zu können. Zusätzlich werden systematisch Rast- und Winterdaten einiger Arten erhoben.

Diese Daten gehen seit 40 Jahren in Brutvogelatlanten für Westfalen, Nordrhein-Westfalen, die Bundesrepublik und den europäischen Brutvogelatlas ein. Und sie sind seitdem eine wesentliche Grundlage bei den Aktualisierungen der Roten Liste der Vögel NRW für das Süderbergland. Jährlich erstellt die OAG einen Jahresbericht mit den Bestandsangaben für diese ausgewählten Arten.

Die Daten werden seit einigen Jahren zunehmend im allgemein üblichen Online-Portal ornitho.de eingegeben, dem offiziellen Meldeportal des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten. Sie sind öffentlich zugänglich.

Der VNV hatte und hat ein großes Interesse, alle Daten der interessierten Öffentlichkeit und den zuständigen Naturschutzbehörden zur Verfügung zu stellen. So kann dieses Wissen u.a. diesen Behörden bei der Ausweisung von Schutzgebieten und der Entwicklung von Schutzkonzepten als Grundlage dienen.

Die herausragende Bedeutung des östlichen Sauerlandes für Raubwürger, Grauspecht, Neuntöter & Co

Die in den letzten Jahren erhobenen Daten zeigen die herausragende europaweite Verantwortung unserer Region für den Erhalt bestimmter bedrohter Vogelarten. Darum war die Beantragung des „Vogelschutzgebietes (VSG) Diemel- und Hoppecketal mit Wäldern bei Brilon und Marsberg“ nur folgerichtig.

Um eine fundierte Abgrenzung des beantragten VSG vornehmen zu können – Kriterium dafür ist allein das Vorkommen der relevanten Arten – haben Ornithologen des VNV tausende von Stunden in ehrenamtlicher Kartierung erbracht. Dabei wurden nicht nur die drei vom LANUV NRW als besonders wertgebende Arten Grauspecht, Raubwürger und Neuntöter erfasst, sondern darüber hinaus alle weiteren 29 naturschutzfachlich relevanten Arten. Dazu zählen folgende im VSG vorkommenden Vogelarten mit – nach Aussage des LANUV NRW – landesweit bedeutsamen Populationen nach Anhang I der EU-Vogelschutz-Richtlinie:

Schwarzstorch, Rotmilan, Schwarzmilan, Uhu, Eisvogel, Schwarzspecht, Mittelspecht, Raufußkauz und Wiesenpieper.

Besonderen Wert haben wir dabei auf eine streng wissenschaftliche, standardisierte Arbeitsweise gelegt, denn belastbare und nachvollziehbare Aussagen sind das Ziel unserer Arbeit.

Wie kartiert man Brutvögel?

Jede Einzelbeobachtung einer bestimmten Vogelart in einem Gebiet wird vom Kartierer einem bestimmten Brutzeitcode zugeordnet und punktgenau in einer Karte festgehalten – heutzutage natürlich am Computer. Auf der Grundlage der Brutzeitcodes sowie zusätzlicher Bemerkungen zu den Beobachtungen wurden die Brutverbreitungen ermittelt.

Online eingegeben und gesichert werden diese Daten entweder am PC zu Hause (über die Meldeplattform ornitho.de) oder direkt im Gelände über die Handy-App „NaturaList“. Diese zweite Möglichkeit nutzen inzwischen die meisten unserer Kartierer.

„NaturaList“ ist die App für alle ornitho-Systeme in Europa. Sie ermöglicht die komfortable Eingabe von Beobachtungen direkt aus dem Freiland. Es wurde Wert daraufgelegt, die Bedienung so zu gestalten, dass die Eingabe der Daten über die App nicht mehr Zeit in Anspruch nimmt, als das herkömmliche Notieren der Beobachtungen im Notizbuch. Letztendlich ist man aber viel schneller, denn man hat ja auch noch die genauen Koordinaten gleich mit erfasst! Ein großer Vorteil ist auch die Möglichkeit der Offline-Nutzung. Auch in entlegenen Gegenden ohne Handyempfang ist die direkte Eingabe somit möglich.

Die App wird vom EBCC (European Bird Census Council) für die Datenerhebung zum Europäischen Brutvogelatlas 2 (EBBA2) empfohlen.

Bei den Brutzeitcodes handelt es sich um Angaben zum Status als Brutvogel. Jeder Verhaltensweise des Vogels ist ein bestimmter Code zugeordnet. Bei der Eingabe eines Brutzeit-Datums wird man automatisch um die Angabe eines Brutzeitcodes gebeten. Die Brutzeit richtet sich dabei nach den „Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands“ (Südbeck et al. 2005). Die artspezifischen Brutzeiten findet man in den Artensteckbriefen der Meldeplattform oder im Südbeck. Die Codes wurden vom European Ornithological Atlas Committee (EOAC) entwickelt und sind somit europaweit kompatibel. Sie sind in drei Kategorien untergliedert:

A mögliches Brüten / Brutzeitfeststellung

B wahrscheinliches Brüten / Brutverdacht

C sicheres Brüten / Brutnachweis

Diesen Kategorien sind einzelne Codes zugeordnet, z.B.

A2 Singendes, trommelndes oder balzendes Männchen zur Brutzeit im möglichen Bruthabitat festgestellt.

B9 Nest- oder Höhlenbau, Anlage einer Nistmulde u.ä. beobachtet.

C15 Nest mit Eiern entdeckt.

Gegenüber den EOAC-Codes wurden in ornitho.de aus Gründen der Kompatibilität mit anderen ornitho-Systemen der Code A hinzugefügt:

 • Art zur Brutzeit festgestellt. Dieser Code drückt die unterste Stufe einer Brutzeitfeststellung aus. Er findet Anwendung, wenn ausgedrückt werden soll, dass es sich um eine Beobachtung einer potenziellen Brutvogelart handelt, jedoch kein höherer Code zutreffend ist (z.B. Feststellung außerhalb eines potenziellen Bruthabitats).

Der VSG-Antrag des VNV – die datenbasierten Fakten zählen!

Das LANUV hat die vom VNV erhobenen ornithologischen Daten, die dem VSG-Antrag zugrunde liegen, gesichtet, kritisch betrachtet und als solide und belastbar bewertet. Darum kommt die Fachbehörde zu dem Schluss:

Der VNV „hat die wesentlichen Grundlagen für seinen Antrag auf Ausweisung des Diemel- und Hoppecketales als EU-Vogelschutzgebiet durch eine Brutvogelkartierung in den Jahren 2017 bis 2019 erarbeitet. Die Kartierungsmethode entspricht den allgemein in Deutschland anerkannten Standards der Brutvogelkartierung (Südbeck et al., Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands, 2005).

…..

Fazit: Das Gebiet ´Diemel- und Hoppecketal mit Wäldern bei Brilon und Marsberg` erfüllt die Kriterien eines EU-Vogelschutzgebiets (VSG). ….“

Gleichwohl laufen die jährlichen ornithologischen Kartierungen der OAG weiter. Im Jahr 2020 und im laufenden Frühjahr 2021 richteten und richten wir unsere Aufmerksamkeit auf das faktische „Vogelschutzgebiet Diemel- und Hoppecketal mit Wäldern bei Brilon und Marsberg“, um dem Antrag die aktuellsten Daten beisteuern zu können:

  • Weil der Grauspecht schon im frühen Frühjahr Brutaktivität zeigt, lieferte die Kartierung dieser Art schon viele Daten aus 2021, die derzeit (Stand 10.05.21) schon mindestens  65 sichere Brutreviere ergeben (=Brutzeitcode B – wahrscheinliches Brüten)! Der Gesamtbestand des Grauspechts in der VNV-Gebietskulisse liegt demnach noch um einiges höher. Die gesamten vom VNV erhobenen Daten des Grauspechts sowie die daraus ermittelten Reviere aus dem Jahr 2021 im beantragten Gebiet finden Sie nach der Brutsaison hier.
  • Von dem vom Aussterben bedrohten Raubwürger – einem Bewohner des strukturreichen Offenlandes – wurden im Jahr 2020   20 Brutreviere in der vom VNV beantragten Gebietskulisse ermittelt. Dieses Ergebnis liegt damit sogar über der Gesamtzahl, die dem VNV-Antrag zugrunde gelegt wurde!

Substanzlose Vorwürfe

Die Bedrohung unserer natürlichen Umwelt ist in aller Munde, das breite öffentliche Interesse an wirkungsvollen Maßnahmen zum Schutz unserer Naturschätze durch zahlreiche Umfragen und Meinungsforschung belegt.

Umso geräuschvoller müssen diejenigen agieren, die aus Eigeninteresse gegen die Ausweisung des Vogelschutzgebietes sind – oder aus Prinzip kein Schutzgebiet vor ihrer Haustür wollen. Sachargumente sind dabei nicht leicht zu finden, denn ein VSG lässt die gute fachliche Praxis in Land- und Forstwirtschaft weiterhin zu, Siedlungen sowie bestehende und geplante Industriegebiete sind vom VSG ausgenommen.

Darum versuchen es einzelne Politiker und Lobbyisten mit tumben Totschlagargumenten: Die Ornithologen des VNV seien nicht kompetent, die erhobenen Daten werden generell in Zweifel gezogen. Man habe jahrelang „konspirativ und heimlich“ Daten erhoben und „ohne jeden Kontakt zu den betroffenen Akteuren dieses Vorhaben durchgezogen“.

Diese haltlosen Vorwürfe weist der VNV aufs Entschiedenste zurück. Gleichzeitig können wir gelassen auf unsere wissenschaftlichen Erfassungen und Kartierungen der vergangenen Jahrzehnte verweisen, beispielhaft auch in anderen Bereichen als der Ornithologie:

  • Ende der 1980er Jahre hat der VNV für das Land NRW im Auftrag der damaligen Landesanstalt für Ökologie das komplette Biotopkataster für den Bereich des Hochsauerlandkreises überarbeitet. Dieses war und ist die Grundlage für die Landschaftsplanung.
  • Die herausragenden botanischen Kenntnisse in den Reihen des Vereins haben zu der Veröffentlichung „Flora im östlichen Sauerland“ (hrsg. vom VNV) geführt.
  • Umfangreiche Daten des Vereins sind seit jeher eine Grundlage für die durch die Biologische Station HSK koordinierte Rote Listen Pflanzen und Vögel (Naturraum Süderbergland), die vom LANUV für NRW erarbeitet wird.

Behörden auf allen Verwaltungsebenen greifen schon immer auf unsere Daten zurück, nicht zuletzt weil sie nach wissenschaftlichen Kriterien erhoben wurden. Aber auch von Einzelpersonen beauftragte Planungsbüros verwenden gerne VNV-Daten für ihre Umweltverträglichkeitsstudien, die sie für geplante Eingriffe zu erstellen haben.

Rückendeckung aus der Fachwissenschaft

Die absurden Vorwürfe veranlassten Prof. Dr. habil. Eckhard Jedicke,  Leiter der Hochschule Geisenheim und des dortigen Studienbereichs Landschaftsarchitektur, zu einem offenen Brief an die Umweltministerin, Frau Heinen-Esser, aus dem wir auszugsweise zitieren:

„Vertreter*innen der Kommunen, des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands u.a. Akteure stellen im Zuge der Diskussion um diesen Antrag die Expertise des Vereins massiv in Frage. Der Unterzeichner arbeitet seit vielen Jahren mit dem Verein und der aufgrund seines Engagements gegründeten Biologischen Station Hochsauerlandkreis vertrauensvoll zusammen. Die persönliche Diskreditierung von Personen, die sich um den Naturschutz im Hochsauerlandkreis verdient gemacht haben, kann ich nicht unwidersprochen hinnehmen.

Der Vorwurf heimlicher und konspirativer Kartiertätigkeit ist u.E. frei erfunden, zumal auch die Vogelwarte Bestandszahlen ausgewählter Arten beim VNV abfragt. Die durch die Biologische Station HSK koordinierte Rote Liste der Brutvögel für den Naturraum Süderbergland basiert wesentlich auf den Daten der OAG. Diese Rote Liste erstellen die Nordrhein-Westfälische Ornithologengesellschaft und das LANUV für das Land NRW.

Regelmäßig finden wissenschaftliche Bachelor- und Masterarbeiten im Kreisgebiet durch Universitäten und Hochschulen statt. Erster Ansprechpartner für uns ist aufgrund seiner exzellenten Naturraum- und Artenkenntnis der Verein für Natur- und Vogelschutz im Hochsauerlandkreis e.V. Mit ihm werden Artengruppen, Untersuchungsräume etc. abgestimmt, so dass die Studierenden ihre Themen erfolgreich bearbeiten können.

Der Unterzeichner führt seit über zehn Jahren verschiedene Naturschutz-Projekte im Hochsauerlandkreis durch. Zu nennen wären hier die Projekte `Biotopverbund als Klimaanpassungs-Strategie des Naturschutzes in der Beispielregion Naturpark Diemelsee` und das Projekt `Bergheiden im Rothaargebirge` des Naturparks Diemelsee. Die Projekte werden von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, aber auch durch das Umweltministerium NRW mitfinanziert. Auch hier ist die Mitarbeit der Artenkenner des Vereins von großer Bedeutung.

Solcherart wie im Hochsauerlandkreis ehrenamtlich erhobene Daten stehen andernorts als Kern von Modellprojekten, die Bund und Ländern (u.a. vom BMBF) fördern, für eine neue Qualität, um wissenschaftliche Arbeiten durch bürgerwissenschaftliche Expertise aufzuwerten. Im Bereich der Artenkenntnis verfügen gerade solche Ehrenamtliche wie im Hochsauerlandkreis über eine Expertise, die weit über der vieler Professioneller liegt. Durch in referierten Zeitschriften publizierte Studien wurde nachgewiesen, dass Daten hauptamtlicher Forschender nicht weniger Fehlerquellen unterliegen als die aus Citizen-Science-Projekten (MUNZINGER et al. 20171). Am Beispiel der Libellen (und – unpubliziert – weiterer Artengruppen) wurde gezeigt, dass sich aus Ehrenamts-Daten eine fast identische Rote Liste wie die im professionell erstellten Deutschlandatlas ableiten lässt (OTT & MUNZINGER 20172). Daher geht es bei der Diskussion im HSK um nicht weniger als die dringend erforderliche gesellschaftliche Anerkennung von ehrenamtlich erhobenen Beobachtungsdaten, ohne die der behördliche Naturschutz weit schlechter arbeiten könnte, als er es heute in der Lage ist, auch in NRW. Das gilt u.a. auch für die Erfüllung behördlicher Pflichtaufgaben der Umsetzung der europäischen Naturschutzrichtlinien.

Der Antrag des VNV auf Ausweisung eines europäischen Vogelschutzgebietes beruht auf langjähriger, exzellenter Kartiertätigkeit des Vereins. Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, haben Ihr Landesamt für Naturschutz (LANUV) mit der Prüfung beauftragt. Die Vogelschutzwarte hat die Wertigkeit des Raumes bestätigt. Über die Abgrenzung herrscht noch keine abschließende Einigkeit. Dass ein solches Projekt Kritik auslöst, ist normal. Dass aber als wichtigstes Gegenargument die Integrität der Daten in Frage gestellt wird, macht mich sehr betroffen. Wie absurd dieses ist, zeigt sich auch an der leichten Erkennbarkeit der allermeisten hier relevanten Vogelarten im Feld – zu deren gemeinsamen Beobachtung der VNV gern all diejenigen Skeptiker einlädt, die diese Daten anzweifeln. Die vom LANUV als für das beantragte Vogelschutzgebiet besonders relevant genannten Arten Grauspecht, Raubwürger und Neuntöter sind zudem auch für absolute Laien einfach und zweifelsfrei erkennbare Vogelarten.

Wir würden uns wünschen, wenn Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, ein positives Bekenntnis zu ehrenamtlicher Naturschutzarbeit abgeben würden, in dem Sie die Arbeit des Vereins anerkennen und nicht der unsachlichen Kritik der Interessen geleitete Gruppen und Institutionen zu unnötiger Würdigung verhelfen.

Den gesamten Brief des Prof. Jedicke an die Ministerin finden sie hier.