Das Braunkehlchen – Vogel des Jahres 2023

Bestand im HSK

Artbeschreibung/kurze Charakteristik

Das Braunkehlchen ist eine Art des strukturreichen Offenlandes. Kennzeichnend für den ca. 12 – 14 cm großen, braun-orange gefärbten Vogel ist der Kontrast zwischen hellem Überaugen- und dunklem Augenstreif, der beim Weibchen weniger auffällig ist.

Verbreitung

Das Kerngebiet der Verbreitung liegt in Skandinavien und Russland und insgesamt dürfte es in Europa noch ein paar Millionen Brutpaare geben. In Deutschland wurde der Bestand um 2016 mit ca. 19000 – 35000 Paaren angegeben. Angesichts der rasanten Talfahrt dieser Art dürften es inzwischen deutlich weniger sein. Der Bestandsschwerpunkt liegt im Osten, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern. In vielen Bundesländern der ehemaligen Bundesrepublik, so z.B. in NRW und Hessen, hat das Braunkehlchen den Status 1, also „vom Aussterben bedroht“ auf der Roten Liste. Dass das Braunkehlchen nach 1987 nun bereits zum zweiten Mal „Vogel des Jahres“ geworden ist, deutet schon die prekäre Situation dieser Art an, und auch, dass diese sich nach 1987 nicht zum Besseren entwickelt hat.

Ursachen des Bestandsrückgangs

Die moderne Landwirtschaft beeinträchtigt das Braunkehlchen insofern, als früher wenig ertragreiche, aber vom Braunkehlchen besiedelte, Grenzertragsstandorte durch Entwässerung, frühere und stärkere Düngung, sowie durch Flächenzusammenlegung intensiviert wurden. Das Braunkehlchen, das als eins der letzten Brutvögel aus den Überwinterungsgebieten jenseits der Sahara zurückkommt, benötigt blüten- und somit insektenreiche Wiesen für die Aufzucht der Jungen. Verstärkte Düngung, oft durch Gülle, vermindert den Blütenreichtum, als Folge davon den der Insekten und nimmt den Braunkehlchen die Nahrungsgrundlage. Die Wiesen werden zum Zeitpunkt des Eintreffens der Braunkehlchen (Mitte Mai) oft schon zum zweiten Mal gemäht, so dass kaum noch Insekten vorhanden sind. Auch die Nester fallen der frühen Mahd häufig zum Opfer. Für die Braunkehlchen, die die Revierbildung hauptsächlich durch den von Sitzwarten aus vorgetragenen Gesang der Männchen vornehmen, ist das Vorhandensein eben dieser notwendig. Da rationelle Mähwirtschaft von großen Flächen profitiert, werden kleinere häufig (oft nach der Betriebsaufgabe von Nebenerwerbslandwirten) durch Entfernung von Zäunen – und damit eben Sitzwarten – zu größeren Einheiten zusammengelegt. Dadurch fehlen neben den Gesangswarten auch die Rasenstrukturen, die sich unter dem Zaun der Mahd entziehen und dem Braunkehlchen häufig als Neststandort dienen.

Inwieweit sich die Zunahme von Beutegreifern (Fuchs, Waschbär), die dem Bestand bodenbrütender Limikolen zu schaffen machen, auch negativ auf das Braunkehlchen auswirkt, kann mangels vorhandener Untersuchungen nicht gesagt werden. Der gute Bestand an Braunkehlchen in den Nuhnewiesen spricht eher dafür, dass diesem Aspekt keine vordringliche Beachtung geschenkt werden muss.

Status in Nordrhein-Westfalen

Das Braunkehlchen hat sich aus NRW inzwischen fast komplett zurückgezogen. War es früher vor allem auch in den Feuchtwiesen des Tieflands ein Brutvogel, so hat es sich aktuell auf wenige Gebiete in den Höhenlagen des Sauer- und Siegerlandes zurückgezogen. Der Grund dafür ist nicht etwa, dass die Höhenlagen an sich besser geeignet sind, sondern dass die Lagen im Tiefland wegen meist besserer Bodenqualität und milderen Klimas schon früher wegen der intensiveren landwirtschaftlichen Bewirtschaftung geräumt wurden.

Aktuell ist das Braunkehlchen in NRW als Brutvogel nur noch in 2 Bereichen im Kreis Siegen-Wittgenstein, sowie im Hochsauerlandkreis vertreten, wie der Abbildung zu entnehmen ist.

Braunkehlchenverbreitung in NRW

Das Braunkehlchen im Hochsauerlandkreis

Als der VNV vor etwa 40 Jahren seine Arbeit aufnahm, war ein Schwerpunkt seiner Arbeit eine flächendeckende Erfassung der Brutvögel Im Kreis. Es stellte sich damals u.a. heraus, dass das zu der Zeit schon nicht häufige Braunkehlchen einen guten Bestand im HSK aufwies. Allerdings konzentrierte sich dieser schon damals im östlichen HSK, also dem früheren Kreis Brilon und dort besonders in der Medebacher Bucht, sowie in Gebieten bei Olsberg und im Umfeld von Brilon (Madfeld, Scharfenberg). Ganz zu Anfang gab es noch vereinzelte Nachweise aus dem Raum Schmallenberg (Altkreis Meschede).

Als dann der VNV die eigentlich Naturschutzarbeit im HSK aufnahm, gab es an der prekären Lage des Braunkehlchens schon keinen Zweifel mehr. Nach einer mehrjährigen Erfassung der Bestände wurde eine „Zwölferliste“ vorgelegt, die den Schutz des Braunkehlchens in den wichtigsten Brutgebieten sichern sollte. Diese Bemühungen waren nur teilweise erfolgreich, das Problem war meist eine Interessenskollision zwischen Naturschutz und intensiver Landwirtschaft. Viele Flächen, in denen Mitte der 80er, Anfang der 90er Jahre noch 1 – 2 BK-Reviere existierten, wurden schon lange aufgegeben und können teilweise heute auch nicht mehr wiederhergestellt werden.

Dennoch gelang es dem VNV durch vielerlei Bemühungen und Initiativen viele herausragende Naturflächen teilweise oder komplett zu sichern. So konnten Flächen beispielsweise durch Ersatzmaßnahmen, durch Flurbereinigungen, Ankäufe mit Hilfe des Landes, der NRW-Stiftung oder mit Eigenmitteln des VNV gesichert werden. Auch die Ausweisung der Medebacher Bucht als Europäisches Vogelschutzgebiet – vor allem auf Initiative von Mitarbeitern des VNV – erwies sich als hilfreich.

Alle diese Bemühungen hatten jedoch nur teilweise Erfolg. So wurden bereits Mitte der 90er Jahre die meisten der in Abbildung Nr. 3 dargestellten Vorkommen geräumt.

ehemals besetzte Braunkehlchengebiete in der Medebach Bucht und auf der Winterberger Hochfläche

Zwar konnte der Bestand des BKs von ca. 70 Ex. kreisweit (einschließlich der in Hessen gelegenen, aber zum Naturraum gehörenden Teilflächen) mit jährlich ca. 60 – 65 BK einigermaßen stabil gehalten werden, ein zweiter, genauerer Blick offenbart jedoch die dramatische Lage dieser Art. War Ende der 80er Jahre noch mehr als die Hälfte des Brutbestands auf mehr als 30 Gebiete verteilt (siehe Abb. 4), so konzentriert sich der gesamte Bestand im Jahr 2022 zum ersten Mal auf eine einzige Fläche, die Nuhnewiesen bei Hallenberg.

Bestandsentwicklung des Braunkehlchens in der Medebacher Bucht

Die in den Diagrammen dargestellte Bestandsentwicklung ist widersprüchlich und nicht vollständig zu erklären. Dem konstanten Niedergang in allen Gebieten steht die teilweise explosionsartige Entwicklung in den Nuhnewiesen gegenüber. Was sind nun die Gründe für den Niedergang in den Einzelgebieten? Leider kann man neben vielen handfesten Gründen oft auch nur auf Spekulationen zurückgreifen.

Bei den Vorkommen mit nur 1 oder 2 Revieren ist in den meisten Fällen davon auszugehen, dass es sich hier nur um Restbestände einst größerer Populationen handelt. Die Flächengröße betrug oft nicht einmal einen ha und lag reliktartig innerhalb intensiv genutzter Flächen. Mit dem Beginn der Erfassung des Braunkehlchenbestands Ende der 80er Jahre war die Intensivierung der Landwirtschaft schon seit ca. 30 Jahren im Gange. Es ist davon auszugehen, dass die Bestände vorher deutlich höher lagen. Im Bergland setzte die Intensivierung wegen der ungünstigeren Voraussetzungen deutlich später ein. Das erklärt einerseits das Überleben der Art bis dahin, andererseits aber auch das daraufhin einsetzende, lediglich verzögerte Verschwinden.

Bei den zuerst aufgegebenen Plätzen kamen sicher die klassischen Ursachen zum Tragen, früheres Mähen, stärkere Düngung, Entfernen von Singwarten. Rätsel gibt jedoch das Verschwinden der Art auch an Orten auf, welche durch Ankauf gesichert werden konnten und sich in einem guten Pflegezustand befinden (Beispiele? Irrgeister, Neue Born, Horen). Die Braunkehlchen konnten sich hier zwar deutlich länger halten, dennoch wurden alle Plätze in den letzten Jahren verlassen.

Mit einiger Wahrscheinlichkeit kann angenommen werden, dass ein Grund dafür in der geringen Flächengröße liegt, die oft nur wenigen Brutpaaren Platz bieten. Das trägt zu einer zunehmenden Vereinzelung der Reviere bei. Der Bestand ist dadurch möglicherweise unter eine kritische Größe gerutscht und somit erloschen. Das Braunkehlchen ist sehr standorttreu und wahrscheinlich noch erschienen, als das Aus der Art im jeweiligen Gebiet schon besiegelt war. So wurden z.B. im Pitzfeld bei Medebach immer noch Reviergründungen festgestellt, obwohl in den Jahren zuvor kaum noch Brutnachweise gelangen. Unbekannt ist auch, wie hoch die kritische Gebietsgröße ist. Die vom Flächenzustand her geeigneten und ehemals besiedelten Orte weisen fast alle deutlich weniger als 10 ha auf.

Nuhnewiesen

Zum Glück für das Braunkehlchen lagen die Dinge in den Nuhnewiesen etwas anders. Da sich dort Tiefenbrunnen zur Gewinnung von Trinkwasser für die Gemeinden Hallenberg und Bromskirchen befinden, wurde dort schon von jeher weder intensiv gedüngt noch wurden Insektizide/Pestizide ausgebracht. Im Rahmen von Artenschutzbemühungen für die wertgebenden Arten des Vogelschutzgebietes – in diesem Fall das Braunkehlchen – ergab sich die Gelegenheit mit Hilfe eines Flurbereinigungsverfahrens und somit Flächentausches die Nuhnewiesen vollständig zu sichern. Mit 87 ha beträgt die Flächengröße ein Vielfaches der anderen Gebiete. Die Bewirtschaftung erfolgt seit Anfang 2000 extensiv, abgestimmt auf die Bedürfnisse des Braunkehlchens (vor allem später Mahdzeitpunkt und Gebietsoptimierung). Damit einhergehend setzte die überaus positive Bestandsentwicklung des Braunkehlchens ein.

Ob diese aber auch zukünftig anhält, ist mit einem Fragezeichen zu versehen. Das Erlöschen der Bestände in allen Gebieten bleibt wohl auch für die Nuhnewiesen nicht ohne Folgen. Die jüngsten Entwicklungen deuten auch hier einen Bestandsrückgang an. So wurden dieses Jahr 55 Reviere gegenüber 63 im Vorjahr festgestellt. Leider sind die Zahlen aus 2022 nicht voll aussagekräftig, da wegen Corona-Erkrankung des Erfassers nicht so umfassend kartiert werden konnte. Die Verluste liegen wohl noch so eben in einer normalen Schwankungsbreite und können auch durch Fehler bei der Erfassung bedingt sein. Allerdings lässt sich belegen, dass ein sonst immer besetzter Teil im Südosten der Nuhnewiesen seit 2 – 3 Jahren verwaist ist.

Außer den o.a. Gründen kann derzeit nicht erklärt werden, warum in vielen Gebieten, die den BK optimale Strukturen und hervorragenden Pflegezustand bieten, der Bestand erloschen ist, und sich scheinbar auch in den Nuhnewiesen ein Rückgang andeutet. Es war allerdings eine Entwicklung, die sich bereits über einen längeren Zeitraum abzeichnete. Eine – noch ganz vorsichtige – Vermutung geht dahin, dass der Klimawandel mit im Spiel ist. In den aufgegebenen Flächen hat sich außer dem Nässegrad eigentlich nichts verändert. Blüten- und Insektenreichtum sind vorhanden. Interessant ist allerdings, dass dort in zunehmendem Maß Schwarzkehlchen auftauchen. Dass Erscheinen dieser attraktiven Art (Bild?) ist an sich sehr erfreulich, zeigt bei gleichzeitigem Verschwinden des Braunkehlchens aber auch, dass etwas in Veränderung begriffen ist.

In den Nuhnewiesen kommen, wohl auch wegen der Großflächigkeit des Gebiets, beide Arten nebeneinander vor. Ob es hier mittelfristig zu einem Verdrängungswettkampf zuungunsten des Braunkehlchens kommt, bleibt abzuwarten.

Einer möglichst kompletten Erfassung der Bestände in den nächsten Jahren kommt somit eine hohe Bedeutung zu, um beurteilen zu können, ob dem Braunkehlchen mit den klassischen Instrumenten des Artenschutzes (Ankauf, Sicherung, optimale Pflege) überhaupt noch geholfen werden kann.

Friedhelm Schnurbus